Vor einigen Wochen wurde Forty als Notfall bei uns in der Tierklinik vorgestellt. Forty, ein süßer, 3 Monate alter Australien Shepherd Welpe, litt seit mehreren Tagen an Durchfall und Erbrechen. Da es ihm zunehmend schlechter ging, wurde er von seinem Haustierarzt zu uns überwiesen. Nach der Erstuntersuchung und einigen Tests stand die niederschmetternde Diagnose fest. Forty hatte sich mit Parvovirose infiziert, einer hoch ansteckenden Viruserkrankung, die ohne Intensivbehandlung meist tödlich endet. Voraussetzung für die intensiv-medizinische Betreuung ist eine stationäre Aufnahme. Und so mussten sich Fortys Besitzer nach gerade einmal 5 Tagen, die der Rüde nun bei ihnen lebte, schweren Herzens wieder von dem Kleinen trennen.
Stationsgast Australian Shepard Welpe Forty
Jeden Tag müssen wir Tierbesitzer mit solchen oder ähnlichen Situationen und Entscheidungen konfrontieren.
Für viele von ihnen ist es ein beängstigendes Szenario, den geliebten Vierbeiner in der Klinik zurückzulassen. Verständlicherweise äußern sie Sorge darüber, wie es ihrem Liebling in fremder Umgebung und ohne seine Bezugspersonen ergehen wird. Können sie sich doch nur schwer vorstellen, was da hinter den Kulissen passiert. Aus diesem Grund möchte ich hier einen Einblick in die Abläufe und Hintergründe meiner Arbeit als Stationstierärztin geben und hoffe dadurch, das eine oder andere Vorurteil auszuräumen und (zumindest einige) Zweifel zu zerstreuen.
Stationärer Aufenthalt (Klinikaufenthalt) für Tiere
Zugegeben – ein Klinikaufenthalt ist kein 5-Sterne-Urlaub. Ist es für uns Menschen aber auch nicht. Wir Tierärzte sind grundsätzlich bemüht, eine ambulante Behandlung durchzuführen und die tierischen Patienten in ihrem gewohnten Umfeld von ihren Besitzern pflegen und betreuen zu lassen, wenn das möglich ist. Doch es gibt diverse Erkrankungen oder andere triftige Gründe, die eine stationäre Therapie nötig werden lassen. Insbesondere, um eine bestmögliche Versorgung und Überwachung zu gewährleisten, sollte der Besitzer dazu, z. B. aus beruflichen Gründen, nicht in der Lage sein. Auch besondere Bedürfnisse, wie ein beheizter Platz, Sauerstoffzufuhr, Medikamentenapplikation über die Vene oder Dauertropfinfusionen machen eine stationäre Behandlung oft unumgänglich. Vor allem bei schwer kranken oder instabilen Patienten (z. B. bei Atemnot, nach einem Trauma, bei epileptischen Anfällen oder schweren Infektionen, um nur einige zu nennen), ist die stationäre Aufnahme sogar dringend erforderlich, um Vitalfunktionen rund um die Uhr überwachen und Komplikationen frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Natürlich sind wir dabei bestrebt, die Aufenthaltsdauer so kurz wie möglich zu halten. Schließlich ist uns bewusst, wie sehr die pelzigen Gefährten zu Hause vermisst werden. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch sicherstellen, dass die Tiere stabil genug für eine weitere ambulante Behandlung sind, bevor wir sie in die Obhut ihrer Besitzer entlassen. Somit kann die Dauer der stationären Behandlung sehr unterschiedlich ausfallen – von einer Nacht bis zu mehreren Wochen. Aber keine Angst, Letzteres ist die absolute Ausnahme! Je nach Schwere der Erkrankung bleiben die Tiere in der Regel einige Tage bei uns, die meisten sind in weniger als 1 Woche wieder zu Hause.
Wie sieht eine Station für Tiere aus?
Doch wie muss man sich solch eine Station in der Tierklinik vorstellen? Einzelzimmer wie für Privatpatienten in der Humanmedizin können wir leider nicht bieten. Das würde wohl die finanziellen Möglichkeiten der meisten Tierhalter und nicht zuletzt unser Platzangebot bei Weitem übersteigen! Glücklicherweise haben unsere vierbeinigen Patienten weniger das Bedürfnis nach absoluter Privatsphäre, als nach sozialen Kontakten mit Menschen und Artgenossen. Daher werden auch unsere „Mehrbettzimmer“ sehr gut angenommen.
Für unsere Katzen- und Heimtierpatienten haben wir eine getrennte, ruhige Station. Jedem Tier steht eine eigene, ausreichend große Stationsbox mit einem kuscheligen Liegeplatz, Futter, Wasser und einer Toilette zur Verfügung.
Auf unserer separaten Hundestation findet jeder – ob Chihuahua oder Dogge – in einer geräumigen Box oder einem Auslauf Platz. Ein bequemes Lager, Futter und Wasser verstehen sich von selbst. Außerdem bietet diese Station direkten Zugang zum bepflanzten Außenbereich, den die Hunde mehrmals am Tag (und natürlich auch nachts nach Bedarf) einzeln besuchen dürfen. Hier gibt es ausreichend Gelegenheit zum Schnüffeln, frische Luft schnappen und Geschäfte verrichten.
Unverzichtbar ist unsere Intensivstation. Hier werden jene Patienten betreut, auf die wir ein besonders wachsames Auge haben müssen, wie z.B. Epileptiker, Atemnot- oder Traumapatienten und Tiere, die gerade aus der Narkose erwachen. Auf dieser Station stehen Sauerstoff- und beheizbare Boxen sowie diverse Überwachungsmöglichkeiten zur Verfügung.
Patienten, die an einer hoch ansteckenden Erkrankungen leiden, werden auf unserer Quarantänestation untergebracht. Durch räumliche Trennung und besondere Hygienemaßnahmen (Handschuhe, Schutzkleidung, separate Utensilien, Desinfektionsbecken etc.) wird gewährleistet, dass die hier versorgten Tiere schnellstmöglich genesen können, ohne andere stationäre Patienten zu gefährden.
Das Wohlbefinden der Tiere auf der Station
Neben den räumlichen Gegebenheiten interessiert die meisten Tierhalter, wie die Pflege ihrer Lieblinge auf Station aussieht und ob die Tiere nicht leiden oder Angst haben, wenn sie bei uns sind. Es ist keine Frage, dass ein stationärer Aufenthalt auch für die Vierbeiner eine Ausnahmesituation darstellt. Nach unserer Erfahrung stecken die tierischen Patienten die vorübergehende Trennung von Familie und gewohntem Umfeld aber meist besser weg als ihre Besitzer. Zwar gibt es Unterschiede, doch tut unser Team aus Tierärzten und tiermedizinischen Fachangestellten alles, um den Patienten den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten und Ihnen über eventuelle anfängliche Schwierigkeiten hinweg zu helfen. Dazu gehören selbstverständlich auch eine individuelle Betreuung bei Tag und Nacht und viele Streicheleinheiten – schließlich trägt das seelische Wohlbefinden der Genesung bei!
Für die Besitzer von Forty wurde es ernst. Doch so schwer es ihnen auch fiel, sie zögerten keine Sekunde. Schließlich hatten sie den kleinen Kerl schon derart ins Herz geschlossen, dass sie alles für ihn tun würden. Also bezog der Welpe eine Box auf unserer Quarantänestation und wurde mit Infusionen, Bluttransfusionen, diversen Medikamenten und sehr viel Zuwendung behandelt. Das gesamte Stationsteam tat, was es könnte, um sein Leben zu retten und konnte doch nur hoffen…
Nach den allgemeinen Informationen rund um die Station möchte ich in diesem 2. Teil etwas über den Tagesablauf und die Aufgaben unserer Stationstierärzte erzählen. Hier steht an oberster Stelle natürlich um die Betreuung der uns anvertrauten Patienten. Diese umfasst u.a. die tägliche, gründliche Untersuchung jedes einzelnen Tieres, die Beurteilung des Zustands und des Verlaufs der Erkrankung sowie die Entscheidung über weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen. In enger Zusammenarbeit mit den Spezialisten des jeweiligen betroffenen Fachgebiets planen und koordinieren meine Kollegen/-innen und ich die Termine für spezielle Untersuchungen und Operationen. Nach deren Abschluss laufen die Informationen über die Untersuchungs-, OP- und Laborbefunde wieder bei uns zusammen. Aus deren Auswertung und Analyse resultiert in der Folge die Entscheidung über die weitere Behandlung der Patienten.
Mein Tier ist in der Station einer Tierklinik
Wie werde ich über den Zustand meines Tieres informiert?
Eine nicht minder wichtige Aufgabe der Stationstierärzte ist die Kommunikation mit den besorgten Tierbesitzern. Im Rahmen täglicher Telefonate werden der aktuelle Zustand der Vierbeiner, die Entwicklung der Erkrankung sowie der diagnostische und therapeutische Plan besprochen. Nicht zu vergessen die Mitteilung und Erläuterung der Kosten, welche gerade bei schwer erkrankten oder verletzten Tieren und Intensivpatienten schnell einmal beträchtliche Summen erreichen können. Zudem gibt es in der Medizin leider auch keine Garantie für den Erfolg einer Behandlung, es kann zu Komplikationen und unvorhersehbaren Entwicklungen kommen, die einen exakten Kostenvoranschlag zu Beginn der Therapie bisweilen schwierig bis unmöglich machen. Um so wichtiger ist es uns daher, die Besitzer bezüglich der anfallenden Kosten auf dem Laufenden zu halten. Sollten dennoch Fragen offen bleiben, zögern Sie nicht, uns anzusprechen!
Persönlich kennenlernen werden die meisten Tierbesitzer uns erst beim Entlassungsgespräch. Hier werden die erforderliche Nachbehandlung und die zu verabreichenden Medikamente bzw. ggf. nötige spezielle Diäten erläutert. Es ist auch eine prima Gelegenheit, noch evtl. aufgekommene Fragen zu stellen.
Darf ich mein Tier auf der Station besuchen?
In einigen Fällen können uns Tierbesitzer auch schon früher begegnen, z.B. im Zuge persönlicher Besprechungen oder bei Besuchen stationärer Patienten. Immer wieder werden wir nämlich gefragt, ob Krankenbesuche möglich und sinnvoll sind. Auf diese Frage gibt es jedoch keine pauschale Antwort. Manche Patienten freuen sich riesig über ihre Besitzer und es baut sie auf, von Zeit zu Zeit ein vertrautes Gesicht zu sehen, das ihnen Mut zuspricht. Andere wiederum verkraften es schlecht, immer wieder auf’s Neue verlassen zu werden, wenn die Besuchszeit zu Ende geht. Des Weiteren kommt es sehr auf die Art der Erkrankung an. Vor allem bei Intensivpatienten (wie bspw. Tieren mit Atemnot, bei Epileptikern oder Polytraumapatienten) raten wir von Besuchen ab, da die Aufregung bei der Begrüßung oder allein schon das Verbringen ins Besuchszimmer mit unnötigen Schmerzen oder mit einer dramatischen Verschlechterung des Zustandes verbunden sein kann. In solchen Fällen bitten wir, auf unsere Einschätzung zu vertrauen, obwohl es besonders schwer fällt. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Patienten, bei denen wir Besuche sogar begrüßen, z.B. bei sensiblen Tieren, die in fremder Umgebung die Futteraufnahme verweigern. Hier ist es oftmals hilfreich, wenn die Besitzer mit dem Lieblingsfutter oder besonderen Leckerbissen vorbei kommen.
Bei Vierbeinern, die aufgrund einer hochansteckenden Erkrankung auf der Quarantänestation betreut werden müssen, sind Besuche aus hygienischen Gründen leider nicht möglich.
Der Fall Forty: Welpe mit Parvovirose
Was mich zur Geschichte von Forty zurück bringt. Der kleine Australian Shepherd-Welpe war zu Gast auf unserer Quarantänestation, da er an Parvovirose erkrankt war. Sein Zustand war leider sehr kritisch und er musste intensivmedizinisch versorgt werden. Doch glücklicherweise war er zäher als gedacht. Er musste unzählige Behandlungen und tägliche Blutentnahmen „über sich ergehen lassen“, bis es nach ca. 5 Tagen des Bangens um sein Leben einen ersten Hoffnungsschimmer gab: die Blutwerte besserten sich und es schien, als hätte er das Schlimmste überstanden. Nicht nur seine Besitzer, wir alle auf Station waren sehr erleichtert über diese positive Wendung. Doch so schnell sollte das Kapitel Forty nicht geschlossen werden. Denn leider blieb die erwartete Erholung in den folgenden Tagen aus, er musste gar über eine Sonde ernährt werden. Den Grund dafür fanden wir kurze Zeit später heraus. Das Parvovirus hatte den Darm und das Immunsystem des kleinen Rüden so stark geschädigt, dass sich Darmbakterien im Körper ausgebreitet und zu einer Lungen- und Blasenentzündung sowie einer eitrigen Flüssigkeitsansammlung im Brustkorb (sog. Pyothorax) geführt hatten. Und erneut bedeutete das akute Lebensgefahr für Forty. Wir stellten uns die Frage, wie viel der kleine Kerl noch aushalten konnte und v.a. ob seine Besitzer, die ihn ja erst wenige Tage kannten, ihn weiter behandeln lassen würden. Zumindest auf letztere Frage bekamen wir eine schnelle Antwort. Obwohl wir nicht sagen konnten, ob er überleben würde, und trotz der weiter zu erwartenden, hohen Behandlungskosten wollten seine Besitzer die Hoffnung nicht aufgeben. Fortys Therapie wurde fortgesetzt, es wurden Drainagen gelegt und Antibiotika verabreicht. Und das Bangen ging weiter …
Tagesablauf in der Station einer Kleintierklinik
Von Visite bis Nachtdienst - wie im Krankenhaus
Was Forty mittlerweile bestens bekannt war, möchte ich nun auch all jenen vorstellen, die ihn noch nicht kennen – den Tagesablauf auf Station. Der Tag beginnt um 7:30 Uhr mit der morgendlichen Visite. Ähnlich wie in einem „normalen“ Krankenhaus treffen sich der Nachtdienst, die Stationstierärzte, Assistenten sowie Ober- bzw. Chefärzte aus den verschiedenen Fachbereichenauf der Station, um alle Patienten der Reihe nach zu besprechen. Im Anschluss daran folgt der Hauptteil unserer Arbeit: die Untersuchung und Versorgung jedes einzelnen Tieres. Neben der klinischen Untersuchung werden, je nach Bedarf, Blutproben entnommen, EKGs geschrieben, kleinere Ultraschalluntersuchungen, Punktionen und Blutdruckmessungen durchgeführt. Abhängig von der Anzahl der stationären Patienten und des Betreuungsaufwands kann es Mittag oder früher Nachmittag werden, bis alle Untersuchungen fertig sind. Anschließend geht es ans Telefonieren. Alle Besitzer werden von uns kontaktiert und über den Zustand ihres pelzigen Gefährten informiert. Uns ist bewusst, dass alle Tierbesitzer auf glühenden Kohlen sitzen, am liebsten schon morgens Bescheid wissen wollen und wir ihnen manchmal Einiges an Geduld abverlangen. Trotzdem bitten wir darum, von Anrufen am Vormittag abzusehen und zu bedenken, dass jeder Anruf zu Unterbrechungen bei den Untersuchungen und damit zu Zeitverlust führt – Zeit, die wir lieber für die bestmögliche Versorgung der uns anvertrauten Vierbeiner verwenden wollen. Und für den Fall, dass wir bei einem Tier eine Besorgnis erregende Entwicklung beobachten, rufen wir natürlich UMGEHEND an, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit.
An den Nachmittagen finden dann die Entlassungsgespräche und Besuche statt. Die dagebliebenen Tiere werden weiter kontrolliert und betreut. Insbesondere die aus der Narkose erwachenden tierischen Patienten haben wir nun speziell im Auge. Überdies gibt es noch jede Menge Büroarbeit zu erledigen, z.B. das Verfassen oder Vervollständigen von Arztberichten.
Unser Tag endet schließlich mit der allabendlichen Visite und Übergabe an den Nachtdienst.
Die Arbeit als Stationstierärztin
Ich persönlich habe mich ganz bewusst für die Stelle des Stationstierarztes entschieden und bereue diese Entscheidung nicht. Auch wenn es oftmals stressig und nervenaufreibend ist, so genieße ich es sehr, viel Zeit mit den Tieren zu verbringen und sie und ihre Familien ein Stück weit auf ihrem Weg zu begleiten. Und spätestens, wenn sie gesund (oder zumindest auf dem besten Weg dahin) nach Hause entlassen werden können, ist klar, dass es jede Mühe wert war. Auch wenn nicht alle unsere Patienten genesen und mancher Fall ein trauriges Ende nimmt, so kann ich doch mit Gewissheit sagen, dass wir von unserer Seite zumindest unser Bestes gegeben haben.
Endlich: Die Entlassung von Aussie-Welpe Forty
Was nun noch fehlt, ist der Ausgang von Fortys Geschichte. Wir hatten zwischenzeitlich ein paar Mal daran gezweifelt, doch der kleine Welpe erwies sich als großer Kämpfer mit ordentlich Durchhaltevermögen. Er sprang dem Tod ein weiteres Mal von der Schippe und sein Zustand besserte sich langsam. Nach schier unendlich lange erscheinenden 3 Wochen war es dann soweit: er war auf dem besten Weg, wieder ganz gesund zu werden und konnte in die Arme seiner überglücklichen Besitzer entlassen werden. Es war ein sehr emotionaler Moment, da auch wir alle den Kleinen sehr ins Herz geschlossen und mit seinen aufopferungsvollen Besitzern so manchen Rückschlag durchlitten hatten. Doch zu sehen, wie er sich nun entwickelt und sein Leben genießt, ist einfach nur wundervoll! Und Fortys überschwängliche Freude, wenn er zu einer Kontrolluntersuchung bei uns vorbeischaut, ist der größte Dank.
© Dr. Nina Bitzinger, Tierärztin, AniCura Kleintierspezialisten Augsburg