Unfälle mit Verletzungen des Zentralnervensystems gehören zum Alltag in der tierärztlichen Praxis. Während Wirbelsäulen- und Rückenmarksverletzungen in den meisten Fällen schnell auffallen, bleiben die dezenten Anfangssymptome von Hirntraumen häufig unentdeckt. Das Zentralnervensystem – sowohl Gehirn als auch Rückenmark – ist von knöchernen Strukturen gut geschützt. Das Volumen in Schädelkapsel oder Rückenmarkskanal ist aber begrenzt, sodass jeder raumfordernde Prozess zu erheblichen Druckerhöhungen führt.
Das gilt sowohl für Frakturen und Luxationen als auch für Blutungen oder Ödeme. Da Blutungen und Ödeme in vielen Fällen erst mit Verzögerung auftreten und im Krankheitsverlauf sogar erheblich zunehmen können, bestehen neurologische Ausfälle auch nicht von Beginn an sondern zeigen sich in vielen Fällen erst Stunden nach dem Unfall. Dann befindet sich der Patient aber oft schon in Narkose oder auf dem Heimweg.
Untersuchung
Der besonders gewissenhaften tierärztlichen Untersuchung kommt daher bei diesen Verletzungen größte Bedeutung zu. Eine Orientierung für die Untersuchung des Unfallpatienten kann der nebenstehende Kasten geben. Dieser Untersuchungsgang ist nur auf den ersten Blick kompliziert und umfangreich. Von entscheidender Bedeutung ist nicht große instrumentelle Unterstützung. Vielmehr geht es darum, das Untersuchungsprogramm wie einen Film im Kopf zu haben, damit nicht einzelne Aspekte vergessen werden: Ausgerüstet mit Stethoskop und Otoskoplämpchen lassen sich diese Untersuchungen innerhalb einer halben Minute durchführen.
Die Ausfälle können in vielen Fällen mit Hilfe der Aufstellung links bereits ohne weitere Untersuchungen den entsprechenden Hirnarealen zugeordnet werden.
Patienten mit neurologischen Befunden sollten nach der ersten Untersuchung möglichst weder für längere Zeit sediert noch vorschnell narkotisiert werden. Ist eine chirurgische Versorgung von Verletzungen notwendig, sollte Kurzzeitnarkosen der Vorzug gegeben werden. Zur Schmerzbehandlung können nicht- steroidale Antiphlogistika verwendet werden. Wegen des hohen Hirnödem-Risikos sollten die Untersuchungen außerdem in kurzen Abständen wiederholt werden. Erst nach 24 Stunden stabilisiert sich der Zustand des Gehirns ausreichend.
Therapie
Ein Schädel-Hirn-Trauma-Patient muss vor allem äußerst schonend behandelt werden. Einmal könnte der Umgang ihn plötzlich destabilisieren. Zum anderen sind die Verletzungen oft äußerst schmerzhaft: Solche Tiere können plötzlich um sich beißen! Nur aggressive Tiere oder Tiere in epileptiformen oder klonischen Anfällen dürfen mit Diazepam (0,5 mg/kg KGW i.v.) oder Phenobarbital (1-5 mg/kg KGW i.v.) sediert werden. Blutungen sollten zunächst durch Druckverband und erst später chirurgisch versorgt werden. Von besonderer Bedeutung ist die Sauerstoffzufuhr: Im Koma nach Intubation, beim wachen Patienten per Maske oder Sauerstoffkäfig zugeführt, reduziert Sauerstoff den intrakraniellen Druck. Nur bei bestehender Hypovolämie sollte infundiert werden. Ist eine Schocktherapie nötig, vorsichtig infundieren, bei Blutverlust entsprechende Transfusionen geben. Durch hypertone Kochsalzlösung wird extrazelluläre Flüssigkeit in das Gefäßsystem verlagert. Damit steigt das Kreislaufvolumen bei Reduktion des intrakraniellen Druckes.
Die Infusion verfolgt das Ziel einer möglichst guten Organdurchblutung, es darf aber nicht zur Überinfusion kommen.
Mannitol kann den Hirndruck nach Extravasation bei Hirnblutungen sogar steigern. Wird 5 Minuten vor Mannitol Furosemid gegeben, kommt es nach Auslaufen der osmodiuretischen Mannitol-Wirkung nicht zu einem Wiederanstieg des Druckes (Rebound-Effekt).
Als Schmerzmittel können nicht-steroidale Antiphlogistika verwendet werden, bei starken Schmerzen auch Buprenorphin (Temgesic) oder Fentanyl-Pflaster, ohne das Bewusstsein zu trüben.
Bei offenen Schädelfrakturen oder sobald eine hämatogemetastatische Gehirnentzündung zu befürchten ist, sollten liquorgängige Antibiotika u.U. über Wochen eingesetzt werden (Trimethoprim- Sulfonamide [30 mg/kg], Chloram- phenicol [50 mg/kg]).
Um den intrakraniellen Druck zu erniedrigen, kann der Kopf hoch gelagert werden. Einer Hypothermie ist durch Abdecken und Rotlicht vorzubeugen, die Blase wird manuell entleert, sofern nicht ein Katheter gelegt wird. Dauerkatheter erhöhen das Risiko einer Harnwegsinfektion. Zur Vermeidung hydrostatischer Lungenödeme und Dekubitusstellen sollte der Patient alle 2-3 Stunden auf die andere Körperseite gewendet werden. Die Unterlage sollte weich sein. Feuchte Unterlagen sind sofort zu wechseln.
Jetzt kann die Röntgenuntersuchung und chirurgische Versorgung der anderen Verletzungen erfolgen.
So versorgt sollte alle 15-30 Minuten eine erneute neurologische Untersuchung erfolgen, damit eine Verschlechterung des Zustandes sofort entdeckt wird. Nur dann ist eine zeitnahe Reaktion möglich! Vor, während und nach der Therapie kann die Kontrolle jederzeit durch CT oder MRI erfolgen.
© Dr. Staudacher, AniCura Aachen