Was ist Brachyzephalie?
Der Begriff Brachyzephalie kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Begriffen „brachys“ für kurz und „kephale“ für Kopf zusammen. Brachyzephalie bedeutet also Kurzköpfigkeit. Sie ist angeboren und wurde durch aktive Zucht bei bestimmten Hunderassen herbeigeführt. Hierzu zählen:
- Mops
- Englische Bulldogge
- Französische Bulldogge
- Pekinese
- Chihuahua
- Boxer
- u.a.
Die Verbreitung brachyzephaler Hunde hat sich in den letzten Jahren stark erhöht. Als Gründe lassen sich das Aussenden von Babysignalen (runder Kopf, große Augen), mit denen der Beschützerinstinkt angesprochen wird, sowie das freundliche und gut gelaunte Wesen dieser Hunde anführen.
Übrigens: Möpse sahen nicht immer so aus. Ältere Darstellungen zeigen, dass der „mopsfidele“, sehr agile kleine Hund erst in den letzten 50-80 Jahren stark an Nase eingebüßt hat. Verantwortlich hierfür sind überzogene Rassestandards von Hundezuchtverbänden.
Die Brachyzephalie betrifft auch Katzen einiger Rassen, z. B. Perser oder Exotic Shorthair.
Was ist Qualzucht?
Das Deutsche Tierschutzgesetz verbietet es, mit Tieren zu züchten, bei denen zu erwarten ist, dass ihre Nachkommen Schmerzen, Leiden oder Schäden haben werden. Dazu zählen fehlende und / oder missgestaltete Organe, die ihre Funktion nicht ausreichend ausüben können, aber auch Verhaltensstörungen.
Wenn man sich die Folgen der Zucht auf Kurzköpfigkeit bei Hunden betrachtet, versteht man schnell, dass sie unter den Begriff der Qualzucht fallen. Hunde mit Atemwegssyndrom aufgrund der Brachyzephalie sollten auf keinen Fall zur Zucht verwendet werden!
Warum ist die Zucht auf Kurzköpfigkeit problematisch?
Die starke Selektion auf einen runden, kurzen Kopf verursacht große gesundheitliche Probleme. Diese werden unter dem Begriff „Brachyzephalie-Syndrom“ zusammengefasst. Folgende Effekte treten auf:
Verengter Naseneingang:
Die Nasenlöcher sind zu eng und lassen weniger Luft einströmen. Auch der direkt anschließende Nasenvorhof ist häufig zu verengt, weil die zu großen Nasenflügel hineinragen.
Stauchung der Nasenmuscheln:
Beim gesunden Hund streckt sich der Kopf während des Wachstums: Die Welpen-Stupsnase wird mit dem Erwachsenwerden länglich. In der Nase befinden sich die sogenannten Nasenmuscheln, von Schleimhaut überzogene, vielfach gewundene Knochen. Diese haben wichtige Funktionen: Sie befeuchten die einströmende Atemluft, im Winter wärmen sie sie auf und im Sommer dienen sie der Abkühlung. Wenn der Hund hechelt, wird über die zigfach gefaltete Oberfläche der Nasenmuscheln Feuchtigkeit zur Verdunstung gebracht. Dies bringt einen großen kühlenden Effekt, der überlebenswichtig ist, da Hunde nicht effektiv schwitzen können.
Bei der Brachyzephalie werden die Nasenmuscheln durch das ausbleibende in-die-Länge-Wachsen der Nase gestaucht und können ihre Funktionen nicht erfüllen. Zudem verengen sie den Kanal, durch den die Luft Richtung Lunge strömen kann. Außerdem zeigen sie – im Vergleich mit gesunden Hunden – eine viel zu große Dicke im Verhältnis zur Größe des Tieres.
Rachenverengung:
Die Verengung des Luftweges setzt sich weiter fort. Im Rachen sorgen ein zu großes und zu dickes Gaumensegel und bisweilen eine zu große Zunge für mangelnden Raum. Häufig sind die Mandeln gereizt und entzündet und deswegen angeschwollen. Sie nehmen weiteren wertvollen Raum ein.
Kehlkopf:
Der Kehlkopf sitzt am Eingang zur Luftröhre und kann durch eine Art Deckel, die Epiglottis, verschlossen werden. Dies geschieht beim Schlucken, damit die Nahrung in die Speiseröhre gelangt und nicht versehentlich in der Lunge landet.
Bei kurzköpfigen Hunderassen, besonders bei Möpsen, kommt es oft zu instabilen Kehlkopfknorpeln und großen Mengen angeschwollener Schleimhaut. Dadurch kollabiert der Kehlkopf häufig, d. h., er fällt in sich zusammen. Für den Durchstrom von Luft ist dann kaum noch Platz – der Hund hat Atemnot.
Verengte Luftröhre:
Bei der Luftröhre treten oft zwei verschiedene Phänomene auf: Möpse neigen auch hier zu viel zu weichem Knorpel. Diese können dann die Luftröhre nicht ausreichend offenhalten. In der Folge erinnert das Bild an den Trachealkollaps anderer Rassen: die Luftröhre fällt zusammen.
Französische Bulldoggen hingegen zeigen viel zu enge Knorpelspangen, wodurch der Durchmesser der Luftröhre zu klein wird. Diese Probleme setzen sich meist in den Bronchen der Lunge fort. Der zu kleine Durchmesser erschwert deutlich den Luftstrom.
Verdauungstrakt:
Der notwendige Unterdruck beim Einatmen führt zu einer Speiseröhrenerweiterung und Refluxösophagitis (chronische Entzündung der Speiseröhre). Außerdem wird der Vagusnerv gereizt, was ebenfalls zu häufigem Würgen und Erbrechen führen kann. Oft weist der Verdauungstrakt eine chronische Entzündung auf, ähnlich der IBD (inflammatory bowl disease).
Weitere Einschränkungen kurzköpfiger Hunde sind die Neigung zu Schwergeburten sowie Zahnfehlstellungen und bisweilen ein Wasserkopf. Auch reiben oft die Nasenfalten an den Augen und die Tränenflüssigkeit ist mangelhaft, dadurch kommt es zu dauerhaften Augenentzündungen.
Nicht alle Krankheitsbilder treten bei allen Hunden mit Brachyzephalie gleich stark auf.
Da Hunde in aller Regel durch die Nase atmen, treffen sie die Einschränkungen in den oberen Atemwegen so extrem. Maulatmung kommt nur in großen Belastungssituationen zum Tragen und ist immer ein Zeichen dafür, dass es dem Hund nicht gut geht!
Welche Symptome treten beim Brachyzephalie-Syndrom auf und warum?
Die Symptome verschlimmern sich meist mit zunehmendem Alter. Manche Hunde sind aber auch schon als Welpen betroffen.
Das wohl bekannteste Problem von Hunden mit Brachyzephalie ist die Atemnot. Sie entsteht einerseits durch die diversen Verengungen der Luftwege. Es kommt schlicht zu wenig Luft in der Lunge an. Die Einengung der Atemwege hat zudem zur Folge, dass ein sehr großer Unterdruck aufgebaut werden muss, um Luft einzuatmen. Dies wird über die Atemmuskulatur des Brustkorbes geregelt. Dieser starke Unterdruck kann aber dazu führen, dass Teile der Atemwege kollabieren, also zusammenfallen. Dann strömt noch weniger Luft hindurch, das Tier ringt nach Atem.
Auch die bekannten Schnarchgeräusche entstehen an den verschiedenen Engstellen. Druck von außen auf den Rachen verstärkt die Symptome noch zusätzlich, weswegen viele brachyzephale Hunde nicht gern in Brust-Bauchlage mit flach auf dem Boden liegenden Kopf schlafen. Sie bekämen schlicht zu wenig Luft. Manche Hunde mit Brachyzephalie müssen im Sitzen schlafen, um nicht zu ersticken.
Und selbst ohne körperliche Anstrengung zeigen viele kurzköpfige Hunde eine geringe Toleranz für hohe Temperaturen. Nach nur geringer Anstrengung bei Hitze oder schwülem Wetter brauchen sie sehr lange Erholungsphasen, um zu einer normalen Atmung zurückzukehren. Wie oben erläutert, übernehmen die Nasenmuscheln beim Hund eine wichtige Funktion in der Thermoregulation. Über die Verdunstung von reichlich Flüssigkeit beim Hecheln wird eine Menge Wärme abgegeben. Bei Hunden mit Brachyzephalie ist diese Fähigkeit sehr stark eingeschränkt. Dies erklärt ihre erhöhte Hitzeanfälligkeit. Bei großer Wärme oder plötzlicher Anstrengung ist dies für die Hunde lebensgefährlich!
Achtung: Viele brachyzephale Hunde zeigen dauerhaft Maulatmung. Wie bereits erwähnt, ist dies nicht als normal zu betrachten, sondern sollte Sie sofort zum Tierarzt führen!
Die durch die Brachyzephalie verursachte dauerhafte Unterversorgung mit Sauerstoff betrifft den gesamten Organismus (von Menschen mit Schlafapnoe bekannt): Diverse Stoffwechselfunktionen und Hormonsysteme werden belastet, Entzündungsanzeichen steigen an, Bluthochdruck kommt vor. Kurz: Der Körper steht unter dauerhaftem Stress, weil ihm zu wenig Sauerstoff zugeführt wird. Die Erweiterung der Speiseröhre sowie die häufig chronische Entzündung des Magen-Darm-Traktes führen zu häufigem Erbrechen und Durchfall.
Als Folge der aufgezählten Probleme kann es zum Kreislaufkollaps und zum Tod durch Ersticken kommen. Häufig entstehen außerdem eine Bronchitis, eine Lungenentzündung und Herzschwäche.
Diagnose des Brachyzephalie-Syndroms
Wenn Sie Besitzer eines brachyzephalen Hundes sind und Ihnen die genannten Symptome bekannt vorkommen, stellen Sie Ihren Liebling bitte zügig einem Tierarzt vor!
Der Ausdruck „Mopssprache“, den manche Züchter beschönigend für das Schnarchen und Röcheln verwenden, unterschlägt völlig das Leid der Hunde! Sie bekommen permanent zu wenig Luft, leiden oft unter richtiger Atemnot und können sich nicht nur im Sommer kaum rühren. Die Geräusche haben mit Kommunikation (wie dem Schnurren der Katze) nichts zu tun!
Die Diagnose der Ursache der Atemprobleme erfolgt neben der körperlichen Untersuchung über eine Endoskopie der Atemwege. Dabei können die besonders problematischen Stellen festgestellt werden. Auch eine Röntgen- und eine Computertomographie-Untersuchung (CT) sind zur Einschätzung der Lage hilfreich.
Behandlung der Brachyzephalie
Kommen Hunde mit akuter Atemnot in die Tierarztpraxis, werden sie als erstes stabilisiert. Dabei helfen eine kühle, dunkle Umgebung, Sauerstoffzufuhr und ggfs. Medikamente.
Natürlich kann das ursächliche Problem, die zu kurze Nase und der deformierte Kopf, nicht behoben werden. Größten Erfolg gegen Atemwegsprobleme verspricht eine umfassende Operation des Nasen-Rachen-Raums:
- Das zu lange und zu dicke Gaumensegel wird gekürzt und ggfs. ausgedünnt.
- Sind die Nasenlöcher und der Nasenvorhof verengt, werden sie durch Entfernung von kleinen Knorpelstücken und Hautläppchen erweitert.
- Entzündete Mandeln, die ebenfalls Platz wegnehmen, werden entfernt.
- Verschließen die Nasenmuscheln den Luftweg, können sie verkleinert werden.
Es ist wichtig – nach genauer Diagnostik – möglichst alle Engstellen zu operieren. So kann der optimale Erfolg erzielt werden. Dieses Vorgehen wird auch als „Multi-Level-Chirurgie“ bezeichnet, weil mehrere Problemstellen gleichzeitig angegangen werden. Dabei kommen schonende Lasermethoden zum Einsatz: Mithilfe des Lasers können sehr feine, nicht blutende Schnitte ausgeführt werden und es kann sehr präzise in der engen Nase gearbeitet werden. Dieses Vorgehen sichert einen möglichst umfassenden und auch langanhaltenden Effekt. Trotzdem kann es dazu kommen, dass nach einiger Zeit wieder eine Verschlechterung der Symptome eintritt. Dann ist ein erneuter Eingriff meist hilfreich. Manchmal genügt schon die Entfernung von Narbengewebe.
Sobald eine Hund erste Symptome, das ist auch schon ständiges Schnarchen, zeigt, sollte man chirurgisch eingreifen, da ansonsten ein Teufelskreis entsteht: Die Symptome werden immer schlimmer und der Eingriff immer größer. Dieser bringt dann nur noch Linderung, keine Heilung. Die Spätfolgen einer dauerhaften mangelhaften Atmung sind so gravierend, dass die Operation gerechtfertigt ist.
Übergewichtige Hunde mit Brachyzephalie sollten zwingend abnehmen. Denn sie lagern Fettgewebe im Bereich des Rachens ein, was den vorhandenen Raum zusätzlich verkleinert. Gleichzeitig benötigen Hunde mit permanenter Reizung des Magen-Darm-Traktes eine angepasste Fütterung. Auch eine Behandlung mit Medikamenten kann vorübergehend notwendig sein.
Brachyzephalie beim Hund: OP-Kosten & Risiken
Viele brachyzephale Hunde bringen ein erhöhtes OP-Risiko mit. Das liegt daran, dass sie meist bereits Kreislaufprobleme, eine mangelnde Sauerstoffversorgung und weitere Erkrankungen aufweisen. Insbesondere die Aufwachphase gestaltet sich daher oft schwierig. Auch vorhandenes Übergewicht ist ein Problem. Dadurch erhöht sich leider die Belastung, die von einer Vollnarkose ausgeht.
Ihr Tierarzt wird Sie aber im Vorfeld des Eingriffs hierüber informieren und alles Wichtige mit Ihnen besprechen. Da sich diese Einschränkungen mit der Zeit verschlimmern, ist dies ein weiterer Grund, eine mögliche Brachyzephalie-Operation lieber frühzeitig anzugehen!
Die Gebührenordnung für Tierärzte gibt übrigens für sämtliche tierärztliche Leistungen Abrechnungssätze an, die mit einem Faktor von 1-4 berechnet werden. Der Faktor orientiert sich an der Schwere des Eingriffs bzw. es fallen etwa für Notfallbehandlungen höhere Sätze an als in der Terminsprechstunde. Wenn Sie wissen möchten, was die Brachyzephalie-OP für Ihren Hund kosten würde, sprechen Sie einfach mit Ihrem Tierarzt darüber.
Brachyzephalie: Behandlung und Tierschutz
Abschließend sei hier gesagt: Es gibt mittlerweile zwar aufwändige OP-Verfahren, die die Lebensqualität von Hunden mit Brachyzephalie stark verbessern können. Letztendlich lösen sie aber das Problem nicht, das züchterisch verursacht wurde, sondern verhelfen nur dem einzelnen Hund zu einem angenehmeren Leben.
Ein Tier erst krank zu züchten und es dann zu operieren, kann dauerhaft nicht die Lösung sein! Hingegen sollte das Ziel sein, diesen Hunderassen durch entsprechende Zuchtauswahl wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Die Auswirkungen der Brachyzephalie sind so gravierend, dass Tierärzte seit längerem versuchen, Ausstellungsverbote zu erreichen.
Verzichten Sie besser auf die Anschaffung eines kurzköpfigen Hundes. Wenn es doch unbedingt sein muss, achten Sie auf eine deutlich ausgeprägte Nase. Gerade bei Möpsen gibt es erste Rückzüchtungen. Auch das Vorliegen eines Fitnesstests kann hilfreich sein. Dieser wird seit einiger Zeit angeboten und prüft die körperliche Belastbarkeit der Hunde.
@ AniCura